Urteil
/ 12. Oktober 2023

Wichtige Urteile in Sachen Corona

Corona war auch im Sommer ein Thema – und vermutlich wird es ab Herbst noch größeren Raum einnehmen. Daher ist es auch und gerade für Betriebsräte sinnvoll, sich anhand dieser Urteile einen Überblick über die Rechtslage zu verschaffen.

1. Gefälschter Ausweis führt zu Entlassung

DER STREITFALL

Der Beschäftigte aus Berlin war seit drei Jahren als Justizmitarbeiter bei einem Berliner Gericht tätig. Für das Gericht galt zum Zeitpunkt des zur Kündigung führenden Vorfalls die 3G-Regel, sprich Beschäftigte mussten entweder geimpft, genesen oder (täglich) negativ getestet sein (§ 28b Abs. 1 IfSG – Infektionsschutzgesetz). Der Justizmitarbeiter präsentierte dem Arbeitgeber einen Genesenennachweis. Dieser war allerdings gefälscht. Als der Arbeitgeber die Fälschung entdeckte, sprach er eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung aus. Dagegen wehrte sich der Justizmitarbeiter. Er war der Meinung, er hätte nicht gleich entlassen, sondern zunächst erst einmal abgemahnt werden müssen.

DIE ENTSCHEIDUNG

Das Arbeitsgericht gab dem Arbeitgeber recht und befand die fristlose Kündigung auch ohne Abmahnung für zulässig. Die Richter argumentierten, dass die Nachweispflichten des § 28b IfSG hinsichtlich der 3G-Regel auch im Hinblick auf den angestrebten Gesundheitsschutz für alle Menschen im Gericht eine erhebliche Bedeutung haben. Wer einen gefälschten Genesenennachweis nutzt, verletzt seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf seine Kollegen daher in erheblichem Maße. Eine Abmahnung war wegen der schweren Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten nicht erforderlich. Denn der Kläger hätte gerade als Justizbeschäftigter wissen müssen, dass ein solches Verhalten nicht hinnehmbar ist. Daran ändert es auch nichts, dass der Mann dort bereits drei Jahre beschäftigt gewesen war.

ArbG Berlin, Urteil vom 26.04.2022, Az.: 58 Ca 12302/21

DAS BEDEUTET FÜR SIE

Das Urteil reiht sich ein in mehrere arbeitsgerichtliche Entscheidungen, die sich mit mehr oder wenigen kreativen Versuchen von Arbeitnehmern befassen, Coronaregeln zu umgehen – das reicht vom ungerechtfertigten ärztlichen Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht bis hin zu gefälschten Impf- oder Genesenennachweisen. In diesem Fall war das Fehlverhalten insofern noch gravierender, als es sich um einen Justizmitarbeiter handelte, von dem die Befolgung gesetzlicher Vorschriften in besonderem Maße erwartet werden kann und muss. Ähnliches gilt hinsichtlich der Anforderungen an Beschäftigte im medizinischen Bereich: Auch hier haben Verstöße gegen geltende Coronaregeln im Zweifel noch gravierendere Konsequenzen als in anderen Branchen und können daher auch stärker sanktioniert werden. Hätte es sich zum Beispiel nicht um einen Justizmitarbeiter, sondern um einen Altenpfleger gehandelt, wäre ebenfalls keine Abmahnung vor der Kündigung nötig gewesen.

2. Absichtliches Anhusten: Kündigung zulässig

DER STREITFALL

Der Kläger war seit mehreren Jahren als Mechaniker beim beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Er ist Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Am 11.03.2020 aktivierte die Beklagte im Hinblick auf das Auftreten des Coronavirus ihren internen Pandemieplan. Zu den Maßnahmen zählten u. a. die Aufforderung, Abstand zueinander zu halten, Hygienemaßnahmen sowie das Bedecken von Mund und Nase beim Husten oder Niesen mit einem Papiertaschentuch oder Ärmel als Verhaltensregel. Die Belegschaft wurde in verschiedenen E-Mails und einer Abteilungsversammlung informiert. Die Verhaltens- und Hygieneregeln wurden zudem auf Zetteln im Betrieb verteilt. Nach Zustimmung des Betriebsrats kündigte der Arbeitgeber dem Kläger am 03.04.2020 außerordentlich fristlos. Er wirft dem Kläger vor, sich mehrfach nicht an die wegen der Coronapandemie ergriffenen Hygienemaßnahmen sowie an die Sicherheitsabstände gehalten zu haben. Er habe ihm in Gesprächen signalisiert, dass er die Maßnahmen „nicht ernst nehme“ und diese nicht einhalten werde. Der Kläger habe einen Mitarbeiter gegen seinen Willen am Arm angefasst. Am 17.03.2020 habe er schließlich einen Kollegen vorsätzlich und ohne jegliche Barriere aus einem Abstand von einer halben bis maximal einer Armlänge angehustet. Sinngemäß habe der Kläger gesagt, er hoffe, dass der Kollege Corona bekäme. Ob der Kläger tatsächlich Corona habe, wisse der Arbeitgeber nicht. Der Kläger hat behauptet, er habe andere Personen keinen Infektionsgefahren ausgesetzt und, soweit es ihm möglich gewesen sei, die Sicherheitsabstände und Hustetikette eingehalten. Am 17.03.2020 habe er einen Hustenreiz verspürt und deshalb spontan husten müssen. Dabei habe er ausreichenden Abstand zum Kollegen gehabt. Als der andere Kollege sich belästigt gefühlt und dies geäußert habe, habe er entgegnet, der Kollege möge „chillen, er würde schon kein Corona bekommen“.

DIE ENTSCHEIDUNG

Der Arbeitgeber verlor vor dem LAG, da die konkrete Kündigung nicht rechtmäßig war. Denn die durchgeführte Beweisaufnahme ging zulasten des Arbeitgebers aus. Das Gericht hatte die Beweisaufnahme durchgeführt, weil die vom Arbeitgeber behauptete Version des Sachverhalts am 17.03.2020 im konkreten Fall eine fristlose Kündigung hätte rechtfertigen können. Wer im März 2020 bewusst einen Kollegen aus nächster Nähe anhustete und äußerte, er hoffe, dass er Corona bekäme, verletzte in erheblicher Weise die dem Arbeitsverhältnis innewohnende Rücksichtnahmepflicht gegenüber seinem Kollegen. Wenn der Arbeitnehmer dann auch im Übrigen deutlich macht, dass er nicht bereit sei, die Arbeitsschutzvorschriften einzuhalten, genügte auch keine Abmahnung. Der Arbeitgeber konnte nach der umfangreichen Beweisaufnahme aber den von ihm behaupteten Sachverhalt nicht beweisen. Da er für den Kündigungsgrund die Beweislast trägt, ging dies zu seinen Lasten. Einer Verletzung von Abstandsregeln konnte ausreichend durch eine Abmahnung begegnet werden.

LAG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2021, Az.: 3 Sa 646/20

DAS BEDEUTET FÜR SIE

Eine interessante Entscheidung, bei der es auf die Zwischentöne ankommt. Zwar konnte der Arbeitgeber im konkreten Fall nicht kündigen, da er letztlich nicht beweisen konnte, dass der Beschäftigte einen Kollegen absichtlich angehustet hatte. Doch entscheidender ist die zugrunde liegende generelle Argumentation des Gerichts, wonach ein solcher Vorfall durchaus eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen kann. Das gilt insbesondere dann, wenn der Beschäftigte auch sonst deutlich macht, dass er sich nicht an Coronaregeln halten wird.

3. Arbeitgeber darf Coronabonus nach Kündigung nicht zurückfordern

DER STREITFALL

Ein Erzieher war bei einer Kindertagesstätte beschäftigt und bekam im November 2020 einen Coronabonus. Die schriftliche Erklärung dazu enthielt den Hinweis, dass die arbeitsvertrag­liche Rückzahlungsklausel auch hier gelte. Laut der Klausel muss ein Arbeitnehmer, der zwölf Monate nach Erhalt einer freiwilligen Sonderzahlung aus eigenen Gründen kündigt, die Zulage vollständig zurückzahlen. Zusammen mit der Bonuszahlung bedankte sich der Arbeitgeber für die Betriebszugehörigkeit und erklärte, dass er sich auf die weitere gute Zusammenarbeit freue. Da der Beschäftigte den Arbeitsplatz im Januar 2021 wechseln wollte, kündigte er. Daraufhin zog der Arbeitgeber den Betrag der gezahlten Prämie von den letzten beiden Gehältern ab. Dagegen klagte der Beschäftigte.

DIE ENTSCHEIDUNG

Der Arbeitgeber durfte die Prämie nicht zurückfordern. Denn die Klausel im Arbeitsvertrag, nach der ein Mitarbeiter Prämien zurückzahlen muss, falls er innerhalb von zwölf Monaten nach deren Erhalt ausscheidet, ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unzulässig. Danach sind Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich das Gericht anschließt, benachteiligt eine Rückzahlungsverpflichtung den Vertragspartner im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen, wenn sie in einem solchen Fall eine Bindung über das nachfolgende Quartal hinaus vorsieht (BAG, Urteil vom 21.05.2003, Az.: 10 AZR 390/0). Im vorliegenden Fall übersteigt die Bindungsdauer mit zwölf Monaten die zulässige Bindungsdauer erheblich.

Honorierte Arbeitsleistung

Darüber hinaus ist die zwölfmonatige Bindung des Klägers im vorliegenden Fall auch deshalb unzulässig, weil die Beklagte mit der im November 2020 ausgezahlten Sonderzahlung offenbar auch erbrachte Arbeitsleistung honoriert hat. Ein Indiz dafür sahen die Richter darin, dass die Sonderzahlung „einmalig steuerfrei in Bezug auf die Corona-Pandemie“ gezahlt wird.

ArbG Oldenburg, Urteil vom 15.05.2021, Az.: 6 Ca 141/21

DAS BEDEUTET FÜR SIE

Soweit ersichtlich, ist dies eine der wenigen Entscheidungen, die sich mit der Rückforderung von steuerfreien Coronaprämien beschäftigt. Das Gericht schafft hiermit Rechtssicherheit sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber. Beschäftigte, die kurz nach der Zahlung solcher Prämien den Arbeitsplatz wechseln, sollten im Falle der Rückforderung der Prämie durch den Arbeitgeber daher genau prüfen (lassen), ob diese zulässig wäre. Umgekehrt können Arbeitgeber aus diesem Urteil die Lehre ziehen, dass zur Belohnung der Betriebs­treue spezielle Prämien gezahlt werden sollten. Die steuerfreien Coronabonuszahlungen sind dafür ungeeignet, weil sie eben dann nicht mehr zurückgefordert werden können, da die mithonorierte Arbeitsleistung erbracht wurde. Achtung: Eine separate Belohnung der Betriebstreue ist allerdings anders als die Coronaprämie nicht steuerfrei.

Silke Rohde

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