Urteil
/ 06. Dezember 2023

Kündigung: Offene Videoaufnahmen dürfen als Beweis verwertet werden

Wenn bei einem Kündigungsschutzprozess eine Videoaufnahme als Beweis mit aufgeführt wird, ist dies zulässig. Unabhängig davon, ob die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht, oder nicht.

DER STREITFALL

Der Kläger war beim beklagten Arbeitgeber zuletzt als Teamsprecher in der Gießerei beschäftigt. Der Arbeitgeber wirft ihm unter anderem vor, am 2. Juni 2018 eine sog. Mehrarbeitsschicht nicht geleistet zu haben. Dennoch hätte der Arbeitnehmer für diese Schicht bezahlt werden wollen. Zwar hatte der Kläger an diesem Tag zunächst das Werksgelände betreten. Eine offene Videoüberwachung ergab aber, dass er das Werksgelände schon vor Arbeitsbeginn wieder verlassen hatte. Die Auswertung der Aufnahmen erfolgte aufgrund eines anonymen Hinweises. Die Kamera an einem Tor zum Firmengelände war durch ein Piktogramm ausgewiesen und auch sonst nicht zu übersehen. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis daraufhin außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Der Arbeitnehmer klagte gegen die Kündigung. Er war der Meinung, die Aufnahmen dürften vor Gericht nicht verwertet werden.

DIE ENTSCHEIDUNG

In den Vorinstanzen gewann der entlassene Arbeitnehmer. Vor dem BAG jedoch bekam der Arbeitgeber grundsätzlich recht. Allerdings wird die Sache noch einmal an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses hatte es versäumt, sich selbst die entsprechenden Videoaufnahmen anzusehen. Es hatte lediglich das Vorbringen des Arbeitgebers zum Verlassen des Werksgeländes durch den Kläger vor Schichtbeginn zugrunde gelegt. Die Richter sind gesetzlich zur direkten Auswertung der Aufnahmen verpflichtet.

Videoüberwachung muss nicht unbedingt rechtmäßig gewesen sein

Dabei spielt es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Denn selbst bei zum Teil rechtswidriger Überwachung hätten Gerichte die Aufnahmen zu Beweiszwecken nutzen dürfen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung (= Videoüberwachung) wie hier offen erfolgt und es möglich ist, dass der Arbeitnehmer vorsätzlich gegen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verstößt. In einem solchen Fall ist es grundsätzlich nicht von Bedeutung, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten hat. Das Gericht hat nicht darüber entschieden, ob ausnahmsweise ein Beweisverwertungsverbot in Bezug auf vorsätzliche Pflichtverstöße in Betracht kommt, wenn die offene Überwachungsmaßnahme eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstellt. Das war vorliegend nicht der Fall.

BAG, Urteil vom 29. Juni 2023, Az.: 2 AZR 296/22

DAS BEDEUTET FÜR SIE

In einem Kündigungsschutzprozess besteht grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung. Dies gilt zumindest dann, wenn diese ein absichtliches Fehlverhalten des Beschäftigen belegen sollen. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht. Betriebsräten ist zu empfehlen, die Kollegen über diese wichtige Entscheidung des BAG zu informieren.

Übersicht: wichtige Fakten zur Videoüberwachung

1. Keine Videoüberwachung in Sozialräumen

Eine Videoüberwachung in Bereichen, die überwiegend der privaten Lebensgestaltung der Beschäftigten dienen, ist  grundsätzlich unzulässig. Dies gilt insbesondere für WC, Sanitär-, Umkleide- und Schlafräume. Beschäftigte sollten in diesen Räumen vor jeglicher Überwachung durch den Arbeitgeber geschützt sein; der Schutz der Intimsphäre überwiegt hier stets die Interessen des Arbeitgebers an einer Überwachung.

2. Offene Überwachung:

Der Arbeitgeber muss die Beschäftigten informieren Ist eine Videoüberwachungsanlage im Einsatz, muss der Arbeitgeber als Verantwortlicher seinen Informationspflichten nach Art. 12, 13 DSGVO nachkommen. Zunächst sind alle Personen, die den betroffenen Bereich betreten, auf die Überwachung hinzuweisen. Die Beschäftigten müssen offen und gut verständlich darüber informiert werden, ob, wo und warum die Videoüberwachung eingesetzt wird. Es muss auch über die  Kontaktdaten des Arbeitgebers (Ansprechpartner als verantwortliche Stelle) aufgeklärt werden. Denkbar sind hier unterschiedliche Kommunikationsmedien, z. B. ein gut wahrnehmbares und möglichst im Zutrittsbereich der überwachten Fläche angebrachtes Schild, einen Hinweis im Intranet oder eine E-Mail etc.

Silke Rohde

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